Vorweg möchte ich betonen, dass ich mich nicht zu den Corona-Leugnern zähle, mir liegt es fern, den Krankheitsverlauf, den Corona haben kann, zu verharmlosen. Und doch betrachte ich die derzeitigen Entwicklungen in unserer Gesellschaft mit gesunder Skepsis und Sorge. Spannend fand ich vor allem bei mir selbst zu beobachten, was ein Ansteckungsverdacht mit mir macht. Dies möchte ich an dieser Stelle mit Interessierten teilen.
Vielleicht findet sich der eine oder andere in meinem Bericht wieder?
Es ist wirklich schon ein komisches Gefühl gewesen. Letzte
Woche bekam ich von einer Freundin eine Nachricht: Ihr Sohn sei tatsächlich an
Corona erkrankt und ihr ginge es gesundheitlich auch nicht gut. Sie hatte
Kopfschmerzen, Halsschmerzen, eben typische Erkältungssymptome, und war schon
beim Arzt. Beide hatten sich unabhängig voneinander auf Corona testen lassen.
Bisher war Corona für mich gefühlt immer weit weg. Klar, ich hatte schon die
eine oder andere Geschichte im weiteren Bekanntenkreis gehört, auch dass nicht
alle schnell gesund geworden sind, tatsächlich hatte ich auch von zwei
Todesfällen gehört. Doch in einem Fall handelte es sich um einen
Risiko-Patienten und im anderen Fall war der Betroffene vorher zwar gesund
gewesen, aber eben schon im höheren Lebensalter. Ich fühlte mich von den
Schicksalen zwar sehr berührt, doch persönlich nicht in Gefahr. Ich ernähre
mich ziemlich gesund, treibe Sport und bewege mich oft an der frischen Luft.
Corona war für mich vor allem ein mediales Schreckgespenst! Auf allen Kanälen
wird man mit dem Thema konfrontiert und an manchen Stellen durch Regeln persönlich
beschränkt. Für mich sind die Auswirkungen insgesamt noch recht
unproblematisch. Klar vermisse ich das Essen gehen im Restaurant, Kino und
Konzert-Besuche und die sozialen Kontakte mit Freunden, doch im Verhältnis zu
vielen anderen Menschen, glaube ich, dass es mir trotz Corona-Beschränkungen ziemlich
gut geht und deshalb hat mich dieser Virus bisher nicht wirklich belastet.
Die Nachricht der Freundin bezüglich der Krankheitssymptome erreichte mich, nachdem
ich sie ein paar Tage zuvor zu ihrem Geburtstag besucht hatte. Auch ihr Sohn
war natürlich bei der „Feier“ im kleinsten Kreis dabei gewesen. Dass sie beide
krank waren, tat mir natürlich Leid, doch die Mitteilung, dass sie sich beide
hatten testen lassen, löste bei mir nun ein noch kleines, doch spürbares
Unwohlsein aus. So langsam begann mein Gedanken-Karussell: Sollten die beiden etwa
Corona haben? Wenn Sie tatsächlich Corona haben, bekomme ich das auch? … Ich
hätte mir das vorher nicht vorstellen können, und doch fing meine Phantasie an
sich in Gang zu setzen. Einige Stunden später dann die Gewissheit: Beide waren
Corona-positiv! „Corona positiv“: Diese Mitteilung hatte für mich inzwischen etwas
Bedrohliches. Es hörte sich ein bisschen nach Verurteilung an. Vielleicht
findet der eine oder andere Leser, dass ich völlig übertreibe und
wahrscheinlich zur Hysterie neige. Bisher hätte ich so einen Gedanken immer
voll und ganz abgestritten und weit von mir gewiesen. Auf einmal kamen mir all
die Nachrichten und Berichte in den Sinn, die ich in den letzten Wochen in
Zeitung, Fernsehen und Internet nur halbherzig wahrgenommen hatte. Da fiel mir
der junge Mann ein, 20 Jahre, der schon in der ersten Lockdown-Welle erkrankte
und der anscheinend nach wie vor an den Folgen leidet und tatsächlich noch
nicht arbeitsfähig ist. Die vielen Bilder von Intensivstationen in den
Krankenhäusern erschienen vor meinem inneren Auge. Wie oft hatte ich in den
letzten Wochen, ach, was sage ich, in den letzten Monaten, Bilder gesehen, auf
denen Patienten mit vielen Schläuchen und umgeben von hochtechnischen Geräten
im Krankenhaus zu sehen waren. Viele Ärzte und Pfleger bemühten sich um die
Patienten, die teilweise sogar künstlich beatmet werden mussten. Die Ärzte
sprachen von bedrohlichen Zuständen, sie sorgten sich auf Grund der hohen
Zahlen von Einlieferungen und schweren Verläufen, dass sie bei weiter
steigenden Zahlen eine sogenannte „Triage“ anwenden müssen. Diesen Begriff
hatte ich bisher noch nicht oft gehört, nun näherte er sich und bekam er eine
besonders bedrohliche Bedeutung. Wer ist besonders in Gefahr? Wie kann sich der
Einzelne schützen? Jeder trägt Verantwortung für die Risiko-Gruppen, die Zahl
der Infizierten steigt, der Inzidenz-Wert spielt eine große Rolle, wir hoffen
auf den Impfstoff, der noch auf sich warten lässt… Diese und viele andere
Meldungen der letzten Wochen schossen mir durch den Kopf. Okay, ich gehöre
nicht zur Risiko-Gruppe, bin gesund, warum sollte ich jetzt diesen blöden Virus
bekommen? Ich versuchte den Gedanken weg zu schieben. Es gelang mir nur für
einen kurzen Moment. Dann schlichen sich die Überlegungen wieder in meinen
Kopf. Sollte ich erkranken, was bedeutet das, wie krank werde ich sein? So
viele Gedanken habe ich mir über eine potenzielle Erkrankung schon lange nicht
mehr gemacht. Dann riss mich ein Telefonanruf aus meiner Grübelei. Das
Gesundheitsamt! Nach dem Gespräch mit dem freundlichen Anrufer wusste ich nun
amtlich, dass ich sogenannten Erstkontakt mit einer Covid 19 positiv getesteten
Person gehabt hatte. Ich wurde nun für 14 Tage, seit Rückverfolgung der
möglichen Ansteckungszeit, in Quarantäne geschickt. Auf meinen Hinweis, dass
ich mich nun auch testen lassen möchte, erhielt ich die Antwort, dass es nicht
nötig sei. Ich hätte nur die Anweisung zu befolgen, darf meine Wohnung bis zum
festgesetzten Termin gar nicht verlassen. Sollte ich Symptome bekommen, dann
würde es immer noch reichen, sich testen zu lassen. Da war es: Das Wort
„Symptome“! Hatte ich nicht seit heute Morgen ein Halskratzen verspürt? Ich
erwähnte, dass ich durchaus das Gefühl hätte, die ersten Anzeichen einer
Erkrankung zu spüren und hätte gerne Sicherheit. Daraufhin erhielt ich die
Zusage, dass ich alle notwendigen Papiere per E-Mail zugeschickt bekäme. Damit
könne ich mich dann auch, wenn gewünscht, auf Kosten des Gesundheitsamtes (oder
wer das nun auch wirklich bezahlt) testen lassen. Nach dem Telefonat war mir
dann noch etwas unheimlicher zumute. Mir wurde klar: Du darfst jetzt erst
einmal nicht mehr raus, nicht einkaufen, nicht spazieren gehen … Bisher hatte
ich mich vorbildlich an die Corona-Vorgaben halten. Bis auf meine Freundin, die
ich zu ihrem Geburtstag besucht hatte, hatte ich meine sozialen Kontakte auf
Telefon und Internet begrenzt. Meine Rettung waren bisher die Treffen mit
besagter Freundin, das Einkaufen von Lebensmitteln und mein regelmäßiger
Spaziergang in der Natur. Doch diese wurden? nun auch gestrichen. Ich sehe die
Maßnahmen schon ein, doch irgendwie bekam ich ein ungutes Gefühl. Um wenigstens
die Unsicherheit „habe ich Corona?“ oder „habe ich kein Corona?“ aus dem Kopf
zu bekommen, kümmerte ich mich um einen Testtermin. Es gelang mir zwar erst
nach einigen Anrufen, doch am Ende hatte ich für den nächsten Tag einen Termin
bekommen. Die Sicherheit, in ein paar Stunden getestet zu werden, erleichterte
mir in dem Moment die Situation. Und doch fing ich nun an, ständig in mich
hineinzuhorchen … Wurden die Halsschmerzen nicht schlimmer? Kündigten sich mit
dem leichten Zwicken die ersten Gelengschmerzen an? Mein Mann, nun auch mit mir
in Quarantäne, beruhigte mich. Wir beide spielten immer wieder in Gedanken das
Treffen mit besagtem Corona-Patienten und die Wahrscheinlichkeit einer
Ansteckung durch. Wie lange waren wir zusammen gewesen? Wie nahe waren wir uns gekommen?
Wenn meine Freundin sich am gleichen Tag angesteckt hatte, ist es überhaupt
denkbar, dass ich mich nicht angesteckt habe? Ehrlich, ich hätte nicht für
möglich gehalten, wie diese Situation mich beschäftigte, ja geradezu
blockierte.
Am nächsten Tag endlich der Test! Nun sollte ich bald
Gewissheit haben. Ich bekam vom Arzt einen QR-Code mit, über den ich das
Testergebnis erfragen könne, ansonsten, da Freitag, kann ich mit einem Ergebnis
erst am Montag rechnen. Klar, verstehe ich, die armen Menschen in den Laboren
und Gesundheitsämtern wollen wenigstens ihr Wochenende frei haben. Ich stelle
mir vor, dass die sowieso alle bis zum Anschlag arbeiten und belastet sind.
Alles kein Problem, ich habe volles Verständnis. Ich telefonierte mit meiner
erkrankten Freundin. Sie erzählte mir, dass sie am Tag, nach der Testung über
den QR-Code das Ergebnis bekam und ihr Arzt sie auch darüber informierte, dass
Labore und Gesundheitsämter am Wochenende arbeiteten. Ich hoffte nun, mein
Ergebnis über den QR-Code doch schon am nächsten Tag zu erhalten und
installierte die Corona-App. Der Tag verging schleppend und im Laufe des Abends
hatte ich das Gefühl, ich bekäme Kopfschmerzen. Da ich durchaus öfter unter
Spannungs-Kopfschmerzen leide, versuchte ich mich immer wieder zu beruhigen.
Kein Corona, so ein Quatsch! Alles nur Einbildung! Oder vielleicht doch nicht?
Eine unruhige Nacht folgte. Ich wälzte mich immer wieder hin und her. Mein Hals
tat mir weh, die Kopfschmerzen hatten nicht nachgelassen… so begann mein
nächster Tag. Mein Mann und ich zehrten von unseren Vorräten, verhungern würden
wir nicht, zumal sich auch eine Bekannte angeboten hatte, in der nächsten Woche
für uns einzukaufen. Ich hatte am Wochenende sowieso ein Internet-Seminar, also
auch für Ablenkung und Beschäftigung war gesorgt. Und doch … immer wieder
gingen meine Gedanken zum Test-Ergebnis… meiner Freundin ging es hörbar
schlecht … und irgendwie fühlte ich mich auch immer schlapper und müder… Alle
paar Stunden kontrollierte ich auf der Corona-App, ob ich inzwischen ein
Ergebnis bekommen hatte: Nichts! Immer wieder bekam ich nur den Hinweis: „Ihr
Testergebnis liegt noch nicht vor“. Das hieß: weiter warten! Mein
Gesundheitszustand war irgendwie in Ordnung und doch fühlte ich mich schlapp,
müde und die Kopfschmerzen nervten… „Vielleicht liegt es ja am
Wetterumschwung“, beruhigte mich mein Mann.
Das Wochenende ging vorüber und immer wieder sagte meine innere Stimme zu mir,
„wenn du bis jetzt noch keine „richtigen“ Symptome hast, dann wird schon alles
gut“. Gegen 17:00 Uhr kam dann der erlösende Anruf vom Arzt. „Corona-negativ“!
Alles gut! Die Corona-App zeigte übrigens noch drei Tage später an: „Das
Testergebnis liegt nicht vor!“ Inzwischen habe ich sie wieder deinstalliert.
Ich möchte nicht ständig verfolgen können, ob die Infizierten-Zahlen steigen
und ob ich eventuell Risiko-Kontakt hatte. Das macht mich völlig wuschig.
Noch bin ich in Quarantäne, doch das Ende naht. Mir geht es gut und ich erfreue
mich an der Sonne, wenn auch nur vom Balkon aus. Der Corona-Virus hat sich zwar
nicht in meinen Körper geschlichen, doch hat er in gewisser Weise trotzdem
Besitz von mir genommen.
Nun da für mich alles gut ausgegangen ist, es meiner Freundin auch langsam
wieder besser geht, beschäftigt mich der Gedanke, was eine potentielle
Ansteckung in einem Menschen so anrichten kann. Ich bin in einer privilegierten
Situation: Ich gehöre meines Wissens keiner Risiko-Gruppe an, fühle mich
prinzipiell körperlich und Psychisch gesund und lebe nicht allein. Und doch hat
mich diese Situation geängstigt und bedroht. Wie mag es erst all den Menschen
gehen, die alleine zu Hause sitzen und ihre Gedanken und Sorgen mit niemandem
teilen können. Ich fürchte, Außenstehende können diese Gedankengänge gar nicht
nachfühlen. Was machen diese vielen negativen Bilder und Berichte in den Medien
mit Menschen, die tatsächlich an Corona erkrankt sind oder „nur“ befürchten
sich angesteckt zu haben? Der Genesungsverlauf, so könnte ich mir nach meiner
eigenen Erfahrung vorstellen, wird durch dieses Kopf-Kino jedenfalls nicht begünstigt.
Die Seele leidet in so einem Fall und das hat Auswirkungen auf das gesamte
Wohlbefinden.
Vielleicht wäre es durchaus hilfreich, auch von positiven Krankheitsverläufen ausführlicher zu berichten. Mich beschleicht der Gedanke: Sich nur auf die Schreckensbilder zu konzentrieren, schürt mehr Angst als uns guttut!
(Ute Wohlstein, Februar 2021)